Videokonferenzen schränken den visuellen Fokus ihrer Teilnehmer:innen ein. Das führt zu einem engeren kognitiven Fokus und beeinträchtigt so die Kreativität.
Was und wie gemessen wurde
Die Studie (Link dorthin ganz unten) maß die Kreativität und die Entscheidungsqualität mithilfe einer Kombination aus Labor- und Feldexperimenten. Um die Ideenfindung zu messen, zählten die Forscher die Gesamtzahl der Ideen sowie die Teilmenge der kreativen Ideen, die von jedem Paar generiert wurden. Eine Idee galt als kreativ, wenn sie sowohl neuartig als auch funktional war12. Die Qualität der Ideenauswahl wurde anhand von zwei verschiedenen Messgrößen bewertet: (1) dem „Kreativitätswert“ der ausgewählten Idee des Paares und (2) dem „Entscheidungsfehlerwert“ – der Unterschied im Kreativitätswert zwischen der Idee mit der höchsten Punktzahl und der ausgewählten Idee – wobei kleinere Werte eine bessere Entscheidung widerspiegeln.
Um die Hypothese zu untersuchen, dass die virtuelle Kommunikation die Ideenfindung behindert, erfassten die Forscher in der zweiten Serie der Datenerhebung den visuellen Fokus. Erstens wurden die Teilnehmer am Ende der Studie gebeten, sich einzeln an die Requisiten im Raum zu erinnern und diese auf einem Arbeitsblatt zu markieren. Zweitens zeichneten die Forscher den Blick der Teilnehmer während der gesamten Aufgabe auf und extrahierten ihn89.
Die Forscher untersuchten auch verschiedene alternative Erklärungen für die negativen Auswirkungen der virtuellen Interaktion auf die Ideenfindung, darunter inkrementelle Ideen, Vertrauen und Verbindung, Gesprächskoordination und zwischenmenschliche Prozesse. Sie fanden heraus, dass keine dieser alternativen Erklärungen ihre Ergebnisse vollständig erklären konnte.
Die Ergebnisse: in Präsenzmeetings sind Teilnehmer:innen kreativer
Die Verengung des kognitiven Fokus schränkt laut der Studie den assoziativen Prozess ein, der der Ideenfindung zugrunde liegt, bei dem Gedanken „ausgreifen“ und unterschiedliche Informationen aktivieren, die dann zu neuen Ideen kombiniert werden.
Im Gegensatz dazu wurde allerdings kein Beweis dafür gefunden, dass Videokonferenzgruppen bei der Auswahl der zu verfolgenden Idee weniger effektiv sind (und es gibt erste Hinweise darauf, dass sie effektiver sind).
Hier sind einige wichtige Ergebnisse aus den Quellen:
- In einer Laborstudie und einem Feldexperiment in fünf Ländern generierten Videokonferenzgruppen weniger kreative Ideen als persönlich anwesende Gruppen.
- Virtuelle Paare verbrachten deutlich mehr Zeit damit, ihren Partner direkt anzusehen, und deutlich weniger Zeit damit, den umliegenden Raum zu betrachten.
- Die Erinnerung an unerwartete Requisiten und der Blick durch den Raum waren beide signifikant mit einer erhöhten Anzahl kreativer Ideen verbunden.
- Sowohl in Labor- als auch in Feldstudien gab es keine Hinweise darauf, dass sich Videokonferenzgruppen bei der Entscheidungsqualität weniger effektiv zeigten.
Die Ergebnisse deuten zusätzlich darauf hin, dass persönliche Meetings für die Phase der Ideenfindung priorisiert werden sollten, während Videokonferenzen für nachfolgende Phasen des kreativen Prozesses, wie die Ideenauswahl, geeignet sein könnten.
Was bedeutet das nun?
Für die Inspirations-Phase der Kreativität sind Videokonferenzen offenbar nicht das perfekte Mittel der Wahl. Bei der Auswahl von hilfreichen Ergebnissen sind sie allerdings hervorragend nutzbar. Das kann bei der Auswahl der Meeting-Mittel eine Hilfe geben.
Ich möchte die Ergebnisse aber auch etwas breiter interpretieren: Die Teilnehmer:innen sind in Videokonferenzen offenbar durch das verengte Sichtfeld in ihrer Kreativität eingeschränkt. Eine Schlussfolgerung könnte sein:
Für kreative Ideen ist ein weites Sichtfeld hilfreich.
Auch, wenn ich dazu nichts gefunden habe: Versuche doch im „kreativen Moment“ dein Blickfeld zu weiten. Schaue aus dem Fenster, vom Balkon oder gehe womöglich spazieren. Das hat noch einige weitere Vorteile.
Du kannst es ja versuchen. Auch, wenn das (noch) nicht erforscht wurde.
Quelle
https://www.nature.com/articles/s41586-022-04643-y
Ich bin Paul Jonas, Autor des Buches „Schreib. Dein. Buch“ und unübersehbar ein Pseudonym. Hier darf ich über meinen Job, das Schreiben und die Kreativität schreiben. Hier findest du mehr über mich.
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