Das Tagebuch ist DEIN Projekt! So verblüffend das in den schnelllebigen Zeiten von Facebook und Burn-out auch sein mag: Ein Tagebuch zu schreiben ist nicht nur gesund und macht gute Laune. Mit einem Tagebuch hast du immer einen engen Freund an Deiner Seite. Und nicht nur das.
Kleiner Einschub zur Wortwahl vorab: Manche verwechseln Tagebuchschreiben mit „Journaling“ – doch die beiden Methoden sind nicht identisch. Den Unterschied habe ich in meinem Beitrag „Journaling: Schreib dich glücklich“ erläutert. Und wenn du dich für Tools interessierst, die Künstliche Intelligenz in dein Tagebuch bringen, liest du das hier.
Warum überhaupt Tagebuch schreiben?
Wer Tagebuch schreibt, hat „höhere Kreativitätswerte und bessere Rollenübernahmefähgigkeiten“, so eine Studie mit Jugendlichen. Und nicht nur das: Das tägliche Aufschreiben von Gefühlen wirkt direkt auf den Körper. In einer zweiten Studie litten die Tagebuchschreiber seltener unter Grippe und fühlten sich rundum wohler als die Kontrollgruppe.
Das Schreiben von täglichen Notizen zum eigenen Leben ist prima erforscht: Der „Urvater“ der Tagebuchforschung ist James Pennebaker, Psychologe an der University of Texas. Er hat schon in den 90er Jahren die Wirkung des Schreibens eines Tagebuches wissenschaftlich untersucht. Zunächst an 50 amerikanischen Studenten. Alles gesunde, kluge Menschen – die zu seiner Überraschung schon viele schlimme Dinge erlebt hatten: schwere Unfälle, Missbrauch im Familienkreis und der Verlust von nahe stehenden Menschen. Diese Studenten sollten eine Viertelstunde lang einen Tagebucheintrag über ihre tiefsten Gefühle und Gedanken schreiben.
Und siehe da: Einige der Versuchspersonen nahm das sichtlich mit. Sie verließen teils mit Tränen in den Augen den Raum – aber kehrten am nächsten Tag wieder, um weiterzuschreiben. Das war aber nicht die einzige Überraschung: Die Teilnehmer, die sich ihre Sorgen „vom Herzen“ geschrieben hatten, litten in den folgenden Wochen signifikant weniger unter Grippe und Erkältungen und fühlten sich nachweislich besser als die Kontrollgruppe, die nur belanglose Dinge aufgeschrieben hatte. Pennebaker schloss damals daraus, dass das „Herausschreiben“ von Sorgen und Nöten den Körper (und damit vermutlich auch die Seele) widerstandsfähiger macht.
Verschiedene Studien legen nahe, dass die Arbeit an einem Tagebuch bei diesen Erkrankungen und Symptomen helfen kann:
- Angst, Panik, Zwang und Depression – die ja nicht selten gemeinsam auftreten
- Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und auch bei Trauer und Verlust
- Missbrauch von Alkohol und Drogen sowie Ess-Störungen
- körperliche Sympdome wie Reizdarm, Bluthochdruck und Asthma.
So wirkt das Schreiben von Tagebüchern
Und nicht nur das: Dem Tagebuchschreiben werden allgemein mindestens fünf gute Eigenschaften zugeschrieben:
- Erinnerung von Erlebnissen und Gefühlen,
- emotionale Entlastung schwieriger Situationen,
- Selbstintegration von Gefühlen und Einstellungen,
- wohlwollende Selbstkritik sowie
- die Funktion des Tagebuchs als vertrauten Freund.
Alle fünf Eigenschaften sind gut erklärbar:
Natürlich erinnern wir uns an Geschehenes, wenn wir es noch einmal aufschreiben. Nennen wir das mal „Storyfication“. Dieser im Grund einfache Trick macht Vergangenes klarer und durchschaubarer. Diese Erinnerung brauchen wir, um gute wie auch schlimme Erlebnisse in unsere Lebensgeschichte integrieren zu können.
Solches Erinnern bedeutet also emotionale Entlastung – vielleicht auch von Schuldgefühlen oder belastenden Emotionen. Wenn wir uns das Wie und Warum eines Ereignisses noch einmal anschauen, werden wir daraus lernen. Und nicht nur die losen Enden beobachten.
Auch Liebe, Hass oder Eifersucht lassen sich positiver bewältigen, wenn wir sie in unsere Welt und damit in unser „Selbst“ integrieren. Anderenfalls drohen wir sie zu verdrängen (ja, auch Liebe…). Und was das bedeutet, weiß man heute: Verdrängung von schlechten Gefühlen gibt diesen noch mehr Energie. Und Verdrängung von guten Gefühlen ist mindestens Verschwendung.
Und: Wenn wir in unser Tagebuch nicht nur Blümchenträume und allgemeine Gedanken aufschreiben, sondern ehrlich mit uns umgehen, wird dies zu einem Ort der Selbstkritik – im positivsten Sinne. Denn indem wir uns selbst gegenüber ehrlich sind, können wir Kritik anderer besser annehmen und das Positive daran erkennen.
Zusammen genommen wird wird also das regelmäßige Aufschreiben der eigenen Erlebnisse und Gedanken schon nach kurzer Zeit so wichtig wie das Gespräch mit einem guten Freund, dem wir alles anvertrauen können. Das ist uns Menschen heute wichtiger denn je – denn wem können wir uns noch völlig ungeschminkt zeigen? Den Facebook-Freunden? Wohl kaum.
Kann Tagebuchschreiben auch krank machen?
Es gab mindestens eine Studie und einige Aussagen von Psychologen, dass Tagebuchschreiben auch krank machen kann. So hat ein Forscherteam der Glasgow Caledonian University 91 Tagebuchschreiber mit 41 Tagebuchschreibern verglichen. Die überraschende Konklusio waar, dass die Tagebuchschreiber mehr Kopfschmerzen, Schlafprobleme und psychosomatische Störungen haben. Allerdings gibt es noch eine Aussage, die mich fassungslos macht: Studienleiterin Elain Duncan sagte „Wir konnten nicht zeigen, was zuerst da war – das Schreiben oder die Gesundheitsprobleme.“
Es wurde also nicht die Wirkung gemessen, sondern die Merkmale der ziemlich kleinen Gruppe. Ich denke nicht, dass man daraus eine Meldung machen kann. Hier handelt es sich wohl darum, dass wieder jemand Korrelation mit Kausalität verwechselt.
Also lautet die Antwort auf die Frage, ob Tagebuchschreiben krank machen kann: nein.
Berühmte Tagebücer: Franz Kafka, Anne Frank und Kurt Cobain
Es gibt also gute Gründe, warum auch viele Promis – vor allem aus kreativen Berufen – täglich zum Stift greifen und in ein Notizbuch schreiben. Dazu gehörten in der Vergangenheit Franz Kafka, Thomas Mann, Virginia Woolf, Leo Tolstoi, Johann Wolfgang von Goethe aber auch Rudi Dutschke und Kurt Cobain. Wer von den aktuellen Promis ein Tagebuch führt, wissen wir – aus guten Gründen – natürlich nicht.
Das berühmteste Tagebuch ist natürlich das der Anne Frank: Und wer sich heute die Geschichte der Widerstandskämpferin noch einmal anschaut, wird sich innerlich vor ihr verbeugen. Würden wir so tapfer handeln? Wir können es nur hoffen. Und es gibt nicht wenige Historiker, die überzeugt sind, dass Anne Frank ohne Ihr Tagebuch kaum so stark geblieben wäre. Übrigens, interessantes Detail: Über lange Zeit hinweg formulierte Frank ihre Einträge als fiktive Briefe an verschiedene Mädchennamen und spielte darin selbst die eigenwillige Joop, die in den Briefen ihr aufregendes Leben schilderte. Damit nahm Anne Frank intuitiv eine psychologische Praxis auf, die erst seit Kurzem in der Psychotherapie zur Bewältigung von traumatischen Erlebnissen eingesetzt wird. Dies beruht auf dem narrativen (erzählerischen) Beschreiben der eigenen Geschichte.
Ein zweites, sehr beeindruckendes Beispiel für ein Tagebuch ist das „Rote Buch“ von Carl Gustav Jung. Dieses verfasste der berühmte Psychologe in der Mitte des letzten Jahrhunderts um sich – nach eigenen Worten – selbst zu therapieren. In diesem erst im Jahr 2009 veröffentlichten Werk setzt er sich schreibend und malend mit seinen Träumen, Visionen und Fantasien auseinander. C. G. Jung: „Ich habe an diesem Buch 16 Jahre lang gearbeitet. Dem oberflächlichen Betrachter wird es wie eine Verrücktheit vorkommen. Es wäre auch zu einer solchen geworden, wenn ich die überwältigende Kraft der ursprünglichen Erlebnisse nicht hätte auffangen können. Ich wusste immer, dass jene Erlebnisse Kostbares enthielten, und darum wusste ich nichts Besseres, als sie in ein ›kostbares‹, d.h. teures Buch aufzuschreiben …“
Er, der am Ende verstoßene Lieblings-Schüler von Psychologie-Übervater Sigmund Freud, hat sich also sozusagen beim Schreiben eines Tagebuchs selbst am Füller aus der Tinte gezogen. Das können wir ihm nachmachen.
Welche Arten von Tagebüchern gibt es?
Eigentlich (!) ist ein Tagebuch halt ein Tagebuch: ein analoges oder digitales Notizheft, in das die täglichen Gedanken und Gegebenheiten geschrieben werden. Doch das ist für unsere Welt natürlich viel zu einfach. Die Grenzen verschwimmen zwar, aber es gibt mindestens diese Tagebuch-Arten:

- das klassische Tagebuch: Ein Ort, in den – am besten täglich – die wichtigen Gedanken und Gefühle geschrieben werden.
- das Reisetagebuch: Wer sich mal wie Ernest Hemingway fühlen möchte, notiert auf Reisen seine Erlebnisse. Eine lohnende Zeit-Investition, die den Genuss der Reise noch erhöht.
- das Dankbarkeits-Tagebuch: Eine in der Positiven Psychologie verwendete Technik, mit der die grundsätzliche Stimmung gehoben wird und die sogar Depressions-Patienten entspannt.
- Schwangerschafts- und Baby-Tagebuch: Damit sich werdende und gewordene Eltern auch später noch an die wichtigen Themen erinnern können. Das kann dem reinen Genuss dienen – aber auch gesundheitlich wichtig sein.
- das Traumtagebuch: Der Begriff ist irreführend. Es geht primär darum, die eigenen Träume nachts oder spätestens morgen zu notieren, da diese ja einen Sinn und eine Wirkung für uns haben.
- ein Projekttagebuch: Jeder Projektmanager weiß diese Notizen, in denen er auch später noch findet, wer wann was eigentlich wirklich gesagt und getan hat.
- Literarische- und philosophische Tagebücher: Natürlich lassen sich auch große Gedanken in gut geschnitzten Worten täglich notieren. Das nennst du dann bitte, wie du willst.
Natürlich gibt es noch viele weitere Formen und manche dieser Tagebücher sollte man auch eher Journaling dazu sagen. Aber lassen seien wir mal nicht so pingelig.
Jedenfalls, als ich einige Zeit Probleme mit dem Magen hatte, musste ich genau aufschreiben, wann ich was gegessen habe. Dies hatte den verblüffenden Effekt, dass ich deutlich weniger gegessen habe. Warum? Erstens, weil es ziemlich nervig und peinlich ist, „Tafel Schokolade“ aufzuschreiben, wenn man mal wieder gesündigt hat. Und zweitens, weil man dann natürlich auch darauf aufmerksam wird.
Und genau das ist wohl auch der Effekt, warum Tagebuch schreiben so heilsam ist: Wir werden uns den alltäglichen Dingen, die wir ansonsten vergessen würden, bewusst und bauen diese in unser Denken ein.
Was schreibe ich ins Tagebuch?
Die Kurzanleitung lautet: Schreibe einfach alles in dein Tagebuch, was dir aufschreibenswert erscheint. Hier einige Inspirationen:
- Aufregende Erlebnisse, die dich aufgewühlt haben und die du nicht gleich mit jemandem besprechen willst.
- Ideen und Gedanken, die du vielleicht nebenher hattest – aber nicht vergessen willst.
- Wut, Begeisterung, Trauer oder andere Emotionen. Und natürlich, wie es dazu kam und wie du damit umgehen möchtest. Versuche auch mal zu beschreiben, wie sich die „Wut“ oder die gute Laune denn wirklich, ganz konkret anfühlt.
- Zukünftige Pläne („Ich möchte endlich abnehmen. Und zwar mache ich das so:…“ die du dadurch wahrscheinlicher umsetzt.
- Deine Story: Also die Handlungs-Stränge, von denen wir ja alle meist mehrere verfolgen (Arbeit, Beziehung, Geld, Freundschaften, die eig…
Der „Contentman“ hier und mein Newsletter dort sind meine Spielwiesen und digitale Chancen, meine Gedanken auszudrücken. Lange Jahre war ich Journalist – habe also vielleicht ein bisschen Tinte in meinem Blut. Mein Geld verdiene ich als Produktentwickler im Wort & Bild Verlag. .
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