Warum ausgerechnet ich mich für das Gendern in der Sprache einsetze? Wo die Sprache dadurch doch verliert? Ganz einfach: Eine faire Sprache ist mir wichtiger als ein guter Stil. Manchmal muss man sich halt entscheiden.
Die Diskussion über eine faire, gleichberechtigte Sprache ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Und sie wird viel emotionaler geführt, als ich es für sinnvoll halte. Denn Sprache hat sich immer weiter entwickelt. Wenn wir ihr nun einen bewussten Kick in die richtige Richtung geben – wo ist das Problem?
Für hektische Leser:innen: meine 5 Top-GenderTipps
Vielleicht muss ich dich gar nicht mehr vom Gendern überzeugen und du hast eh wenig Zeit und keine Nerven. Dann los. Hier meine fünf schnellen Tipps:
- Ich trenne mit einem Doppelpunkt: Das macht Screenreader und Korrekturprogrammen die Arbeit ein wenig leichter und wirkt auf mich elegant. Und die Leser:innen haben sich – denke ich – schon daran gewöhnt.
- Mit Partizipien gendern: Partizipien sind eine vom Verb abgeleitete Wortart die dadurch Eigenschaften eines Adjektivs erhält. Klingt kompliziert? Ist es nicht: Verwende „herausgegeben von“ statt „Herausgeber“ und „geschrieben von“ statt „Autor.
- Oberbegriffe verwenden: Statt „Lektor und Lektorin“ kannst du „das Lektorat“ schreiben. Und die „Studenten und Studentinnen“ sind „Studierende“. Das wirkt nicht immer elegant und manchmal recht unpersönlich – ist aber gut gegendert.
- Relativsätze helfen manchmal: Statt über „Fahrradfahrer:innen“ kannst du auch über die schreiben, „die Fahrrad fahren“ oder statt über „Unternehmer:innen“ über die, „die ein Unternehmen führen“. Damit gewinnst du sogar noch ein Verb dazu.
- Oft ist die Mehrzahl ein Ausweg: Um das hässliche, doppelte Gendern in „der/die Autor:innen“ zu vermeiden, sind die „Autor:innen“ eine Lösung. Und das ziemlich häufig bei mir. Wie ich selbst feststellen konnte.
OBACHT: Ich versuche, zumindest auf dieser Seite alles richtig zu machen. Das führt – da ich ungeübt bin – zu inhaltlichen Konzentrations-Dellen und möglicherweise zu falscher Genderei. Bitte entschuldigt dies und weist mich freundlich auf die Fehler hin. Danke!
1. Warum überhaupt gendern?
Beginnen wir mit den vielen, guten Gründen, NICHT mit einem Binnen-I, einem Schrägstrich oder einem Gendersternchen oder gar Gender-Gap den Lesefluss zu stören:
- Das macht Texte umständlich und Verständlichkeit ist doch das wichtigste Maß für den Schreibstil.
- Wieso sollen Schreibende etwas ändern, das schon immer gut funktioniert hat?
- Das ist ein Luxusproblem, das den grünen Politikerinnen im Bundestag beim Stricken eingefallen ist!
- Und nun auch noch die neutrale Form. Wer weder Mann noch Frau ist – hat doch ganz andere Probleme, als per Gender-Gap betütelt zu werden.
- Welche Widerstände hast du?
Ich gebe zu, ganz frei war ich von solchen Gedanken nicht – und manchmal tauchen sie immer noch auf: Denn während ich in meinen Schreibseminaren eine Ode auf kurze Wörter, kurze Sätze und maximale Verständlichkeit singe – verkompliziere ich den Text danach mit Gendersternchen. Ist das wirklich richtig?
Ja, liebe Leser:innen! Das ist richtig! Und zwar aus guten Gründen.
Ich halte Sprache unzweifelhaft für unsere wichtigste Kulturtechnik. Wenn diese also nicht mehr in die Zeit passt, muss sie sich ändern – oder geändert werden. Ja, das kostet Energie und stößt auf Widerstand. Doch unter dem Strich ist das eine Frage von Fairness und Gleichberechtigung. Und zwar zu einem guten Zweck.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der diskutiert wird, ob der Klimaschutz (und damit die Zukunft der Welt) aus „Gerechtigkeit gegenüber den Pendlern“ geopfert werden sollte – erscheint eine sprachliche Fairness für Gleichberechtigung als gerechtfertigt und sogar notwendig.
2. Wo und wann gendern?
Die kurze Antwort ist: immer und überall. Denn sonst wird sich das nicht durchsetzen. Das heißt, aber auch in der gesprochenen Sprache, auf Webseiten, in den Sozialen Medien und sogar in Büchern.
Letzteres ist besonders anstrengend, wie ich gerade in einem Buch-Projekt erfahre. Denn wenn du in den Kontakt mit deinen Leser:innen treten willst, wirst du sie auch ansprechen. Das kostet Energie und geht auch auf Kosten des Stils. Doch, wie oben schon gesagt: Ich halte eine faire Sprache für wichtiger als guten Schreibstil.
Eine Besonderheit ist das Sprechen: Gerade bei Seminaren muss ich mich schon sehr konzentrieren, um ordentlich zu gendern. Doch es wird einfacher. Und ich spüre auch immer mehr, wie das meine Teilnehmer:innen sogar mit einer erhöhten Aufmerksamkeit honorieren. Und in unseren Redaktionssitzungen setzt sich die Doppelpunkt-Sprechpause bei „Kolleg:innen“ mittlerweile durch. Ohne überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erzeugen.
3. Wie gendern?
Da ich mit vielen Autor:innen und auch Sprachverantwortlichen in sehr unterschiedlichen Situationen über das Gendern rede, habe ich ein Gefühl dafür, was das eigentliche Problem ist: Es gibt keine festen Regeln. Nicht einmal so komplizierte und auch formbare Regeln wie für die Rechtschreibung und Grammatik, die der Duden veröffentlicht. Es gibt keinen Gender-Duden. Es gibt derzeit nur Realitäten, die sehr unterschiedlich sind. Und ich habe das Gefühl, damit kommen wir (Deutschen) nicht zurecht. Deshalb gilt: Es gibt kein „richtiges“ Gendern – sondern lediglich eine richtige Richtung und ein Ausprobieren.
Es gibt grundsätzlich drei Strategien, um Texte korrekt zu gendern:
- Wo sinnvoll, die weibliche und die männliche Form zu verwenden – oder abwechselnd beide. Nachteil: Das macht den Text unübersichtlicher und führt auch zu Überraschungen bei der weiblichen Form (wobei ja genau das gewollt ist…)
- Die Verwendung von Einklammerung, Schrägstrichen, Binnen-I, Sternchen oder Unterstrich. Nachteil: Auch hier wird der Lesefluss gestört – was natürlich der Sinn ist.
- Vermeiden der maskulinen Form. Statt „Mitarbeiterinen und Mitarbeiter“ kann man auch „Beschäftigte“ sagen, statt „Lehrer und Lehrerinnen“ auch „Lehrkräfte“. Nachteil: Das kostet Autoren einiges an Zeit und Energie und macht manchmal den Inhalt unpräziser. Ist aber hin und wieder sehr kreativ.
Natürlich gibt es – immer häufiger – am Anfang eines Textes (oder per Sternchen) den Hinweis, dass mit der männlichen Form auch die weibliche mitgemeint ist und der Autor (ich gehe davon aus, dass es in diesem Fall meist ein ER ist…) um Verständnis bittet. Das klingt nach einem fairen Kompromiss – oder? Eigentlich nicht! Denn eigentlich heißt dies: „Ja, ich kenne das Problem – aber ich habe keine Lust oder Zeit, mir wirklich Mühe zu geben.“ Das ist mir zu billig…
Ich habe mich beim Gendern für das Vermeiden und den Doppelpunkt entschieden. Dieser hat den Vorteil, dass er beim Vorlesen von Screenreadern als Pause gesprochen wird. Ein Gender-I kennen diese Programme nicht. Doch, wie gesagt – es gibt kein „richtig“, es gibt nur Näherungen.
a. Geschickt umformulieren
Da gibt es fast unendlich verschiedene Möglichkeiten. Und ich finde, dass wir uns damit beschäftigen müssen (ja, ich habe „müssen“ geschrieben). Denn das führt wahrscheinlich nicht nur zu einer fairen Sprache – sondern bricht auch unsere manchmal schon eingefahrenen, unterbewussten Stil-Eigenheiten – was immer gut ist.
Beispiele:
- Statt „Und ich finde, dass ein Autor sich damit beschäftigen muss“ habe ich „Und ich finde, dass wir uns…“ geschrieben. Das ist inhaltlich, wie ich finde, sogar noch stärker und der Text erhält dadurch ein positives „Wir-Gefühl“. Überhaupt ist es viel leichter, wenn die Leser direkt angesprochen werden – denn sie wissen ja selbst, ob sie Frau, Mann oder Divers sind.
- Statt „Amelie Müller trat ans Rednerpult“ könnte man schreiben, dass sie ans „Redepult“ trat. Und damit ist die maskuline Form fast unsichtbar aber sehr „frisch“ weggegendert worden.
- Statt „Lehrer und Lehrerinnen“ sind „Lehrkräfte“ gut gegendert. Hierbei geht es meist um Verallgemeinerungen, in diesem Fall sogar mit einem eigenen Wort (das durchaus angenehm, weil gut verständlich aber auch etwas ungewohnt ist). Nich so schön, finde ich, wird es, wenn aus „Managern“ „das Management“ wird – das klingt blechern. Vielleicht wäre „Führungskraft“ besser oder „Unternehmensleitung“. Doch da sind wir schon mitten in einer Stil-Diskussion, die immer hilfreich ist.
Sehr, sehr viele solcher Formulierungen findest du auf Geschickt Gendern.
b. Grammatikalisch die maskuline Form umgehen
Das ist eine Unterform des geschickten Umformulierens. Da es aber sehr häufig und leicht funktioniert, bekommt das einen eigenen Punkt:
- Mit Relativsätzen bekommst du die „Personalisierung“ aus dem Text. Also statt „Auch Fußgänger müssen sich an Verkehrsregeln halten“ könnte man sagen „Auch wer zu Fuß unterwegs ist, muss sich an Verkehrsregeln halten.“
- Und mit einem geschickt gesetzten Partizip („Mittelwort“, also einem Verb das auch ein bisschen ein Adjektiv ist) funktioniert das auch häufig. Statt „der Autor ist…“ könnte man sagen, dass etwas „geschrieben“ wurde.
Beides macht Texte manchmal uneleganter – und manchmal eleganter. Wer aber ohnehin gut schreiben kann, darf sich das auch hin und wieder leisten.
c. Neue, bessere Formulierungen finden
Das ist dann vermutlich die ganz große Kunst des Genderns – und das kann deinen gesamten Sprachstil verbessern. Hier einige Beispiele aus Geschickt Gendern:
- „Mannsbilder“ -> „gestandene Person“
- „Namensvetter“ -> „Gleichnamige“
- „kundenorientiert“ -> „publikumsorientiert“
- „Komparse“ -> „stumme Rolle“, „Nebenfigur“
- „Kontrahent -> „Gegenüber“
- „Partner“ -> „Gegenüber“
Nicht jeder (AH, MIST!, ich fange nochmal an)… Es wird auch kritische Stimmen gegen diese Vorschläge geben – aber sie zeigen, welche Sprachvielfalt wir im Deutschen haben. Und manchmal führt das auch dazu, den Inhalt noch einmal zu überdenken. Mir gefällt etwa der Gedanke, dass aus einem „Kontrahent“ und einem „Partner“ jeweils ein „Gegenüber“ werden kann. Was heißt das eigentlich für deinen Text? Das könnte ein interessanter Inhalts-Aspekt werden.
4. Unterstützung beim gendern
Zum Glück gibt es gute Quellen, Unterstützung anbieten.
Geschickt Gendern
Genderleicht: Wie im Journalismus gegendert wird.
Geschickt gendern: ein Gender-Wörterbuch
Buchstaben.com: noch ein Wörterbuch für die Praxis.
Na dann: fröhliches Gendern!
Ich werde mir diesen Beitrag noch einmal sehr kritisch durchlesen – und vermutlich trotzdem noch einige ungegenderte Aussagen übersehen. Dann, bitte, hilf mir dabei.
Der „Contentman“ hier und mein Newsletter dort sind meine Spielwiesen und digitale Chancen, meine Gedanken auszudrücken. Lange Jahre war ich Journalist – habe also vielleicht ein bisschen Tinte in meinem Blut. Mein Geld verdiene ich als Produktentwickler im Wort & Bild Verlag. .
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