Der narrative Schreibstil: Eine Einführung in die Kunst des Geschichtenerzählens

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Der narrative Schreibstil ist eine kraftvolle Methode, um Leser in Geschichten einzutauchen und Informationen lebendig zu vermitteln. Er verwandelt bloße Fakten in fesselnde Erzählungen und schafft eine tiefe Verbindung zwischen Text und Leser. Los geht’s.

Warum narrativ schreiben?

Narration bezeichnet im Allgemeinen den Akt des Erzählens oder die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird. Und wir wissen ja, dass dies eins der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen uns und den Affen ist: Wir erzählen uns Geschichten. Der Begriff stammt vom lateinischen Wort „narratio“ ab, was „Erzählung“ bedeutet. In der Literatur, im Film und in anderen Medien bezieht sich Narration auf die Gesamtheit der Techniken und Strategien, die verwendet werden, um eine Geschichte zu vermitteln.

Im Großen und Ganzen ist Narratives Schreiben also das Erzählen von Geschichten. Das lässt sich dann auf folgende Punkte reduzieren:

  1. Charakterentwicklung
  2. Handlungsaufbau
  3. Erzählperspektive
  4. Beschreibende Sprache
  5. Dialoge
  6. Zeitliche Struktur

Diese Elemente ermöglichen es Autoren, komplexe Ideen zu vermitteln, Emotionen zu wecken und Leser zu fesseln. Der narrative Stil findet Anwendung in verschiedenen Bereichen wie Literatur, Journalismus und Marketing.

Wollen wir mal schauen, wie Autor:innen auch anderer Stilformen damit umgehen können.

Was macht den narrativen Schreibstil aus?

Der narrative Schreibstil zeichnet sich durch sechs Kernelemente aus, die zusammenwirken, um eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Im Folgenden werden diese Elemente detailliert erläutert, ihre Relevanz aufgezeigt, Umsetzungsmöglichkeiten vorgestellt und durch Beispiele veranschaulicht.

Erzählperspektive

Relevanz: Die Erzählperspektive bestimmt, wie Leser die Geschichte wahrnehmen und mit welchen Informationen sie versorgt werden. Sie beeinflusst maßgeblich die emotionale Verbindung zwischen Leser und Charakteren.

Umsetzung: Wählen Sie zwischen Ich-Erzähler (persönlich, begrenzt), allwissendem Erzähler (umfassend, distanziert) oder personalem Erzähler (fokussiert, aber flexibel). Experimentieren Sie mit verschiedenen Perspektiven, um die passendste für Ihre Geschichte zu finden.

Beispiel:

  • Ich-Erzähler: „Als ich die Tür öffnete, traf mich der Geruch wie ein Schlag.“ (unmittelbar, subjektiv)
  • Allwissender Erzähler: „Während Marie die Tür öffnete, ahnten weder sie noch der Mann dahinter, wie diese Begegnung ihr Leben verändern würde.“ (umfassend, vorausschauend)

Charakterentwicklung

Relevanz: Glaubwürdige, vielschichtige Charaktere sind das Herz jeder guten Geschichte. Sie ermöglichen es dem Leser, sich zu identifizieren und emotional zu investieren.

Umsetzung: Erschaffen Sie Charaktere mit Stärken und Schwächen. Zeigen Sie ihre Entwicklung durch Handlungen, Gedanken und Dialoge. Lassen Sie Hauptfiguren wachsen und sich verändern, während Nebenfiguren die Handlung unterstützen.

Beispiel: „Am Anfang zögerte Tom bei jeder Entscheidung, immer besorgt, was andere denken könnten. Doch mit jeder Herausforderung, die er meisterte, wuchs sein Selbstvertrauen. Am Ende des Romans stand er aufrecht vor seiner Familie und verkündete seine Entscheidung, ohne mit der Wimper zu zucken.“

Handlungsaufbau

Relevanz: Eine gut strukturierte Handlung hält die Leser engagiert und führt sie durch die emotionale Reise der Geschichte.

Umsetzung: Folgen Sie dem klassischen Aufbau: Exposition (Einführung), steigende Handlung (Aufbau von Spannung), Höhepunkt (Klimax), fallende Handlung (Auflösung) und Schluss. Setzen Sie Wendepunkte ein, um die Geschichte voranzutreiben.

Beispiel: In „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald beginnt die Geschichte mit der Einführung des Erzählers Nick (Exposition), entwickelt sich durch Gatsbys Partys und die Wiederannäherung an Daisy (steigende Handlung), erreicht ihren Höhepunkt mit der Konfrontation in der Stadt und dem Autounfall (Klimax), und endet mit Gatsbys Tod und Nicks Reflexionen (fallende Handlung und Schluss).

Beschreibende Sprache

Relevanz: Lebendige, detaillierte Beschreibungen lassen die Welt der Geschichte vor den Augen des Lesers entstehen und aktivieren alle Sinne.

Umsetzung: Verwenden Sie präzise Adjektive und Adverbien. Setzen Sie Metaphern und Vergleiche ein, um komplexe Ideen zu veranschaulichen. Sprechen Sie alle Sinne an: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen.

Beispiel: „Die alte Uhr tickte nicht einfach – sie hämmerte die Sekunden wie Nägel in den Sarg der verstreichenden Zeit. Ihr Zifferblatt, vergilbt wie die Seiten eines vergessenen Buches, starrte anklagend durch den staubigen Raum.“ (aktiviert Hören und Sehen, nutzt Vergleiche und Metaphern)

Dialog

Relevanz: Dialoge treiben die Handlung voran, enthüllen Charaktereigenschaften und vermitteln Informationen auf natürliche Weise.

Umsetzung: Schreiben Sie Dialoge, die zur Persönlichkeit und zum Hintergrund der Charaktere passen. Nutzen Sie Dialoge, um Konflikte zu zeigen und die Handlung voranzutreiben. Wechseln Sie zwischen direkter und indirekter Rede, um Rhythmus und Dynamik zu erzeugen.

Beispiel:
„Wo warst du letzte Nacht?“, fragte Sarah, ihre Stimme schneidend wie ein Messer.
Tom zuckte zusammen. „Ich… ich war arbeiten. Du weißt doch, dass ich viel zu tun habe.“
„Arbeiten.“ Sarah lachte bitter. „Ist das der Name deiner Sekretärin?“
In diesem kurzen Dialog werden Konflikt, Charaktereigenschaften und Hintergrundinformationen vermittelt.

Zeitliche Struktur

Relevanz: Die Anordnung der Ereignisse beeinflusst, wie die Geschichte wahrgenommen wird und kann Spannung erzeugen oder Hintergründe beleuchten.

Umsetzung: Entscheiden Sie, ob Sie chronologisch erzählen oder mit der zeitlichen Abfolge experimentieren. Nutzen Sie Rückblenden, um wichtige Hintergründe zu enthüllen, oder Vorausschauen, um Spannung aufzubauen.

Beispiel: Der Film „Memento“ von Christopher Nolan verwendet eine umgekehrte Chronologie, um die Erfahrung des Protagonisten mit Kurzzeitgedächtnisverlust nachzuempfinden. Dies erzeugt Spannung und Verwirrung beim Zuschauer, die der Erfahrung des Hauptcharakters entspricht.

Diese sechs Elemente bilden das Fundament des narrativen Schreibens. Ihre gezielte Anwendung und Kombination ermöglicht es, Geschichten zu erschaffen, die Leser fesseln und emotional berühren. Der effektive Einsatz dieser Techniken unterscheidet den narrativen Stil von anderen Schreibformen und macht ihn zu einem mächtigen Werkzeug in der Literatur und darüber hinaus.

Die Beherrschung dieser Elemente erfordert Übung und Experimentierfreudigkeit. Autoren sollten mit verschiedenen Ansätzen für jedes Element spielen, um ihren eigenen Stil zu finden und zu perfektionieren. Letztlich ist es die harmonische Kombination dieser Elemente, die eine Geschichte zum Leben erweckt und Leser in ihren Bann zieht.

Techniken des narrativen Schreibens

Drei zentrale Techniken prägen den narrativen Schreibstil und verleihen Geschichten Tiefe und Lebendigkeit:

Show, don’t tell

  • Vermittelt Informationen durch Handlungen, Dialoge und Sinneseindrücke statt direkter Erklärungen
  • Aktiviert die Vorstellungskraft des Lesers
  • Beispiel:
    Statt: „Marie war wütend.“
    Besser: „Maries Hände zitterten, als sie die Tasse auf den Tisch knallte. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.“

Spannungsaufbau

  • Erzeugt und erhält das Interesse des Lesers
  • Nutzt Elemente wie Konflikte, Geheimnisse oder Zeitdruck
  • Beispiel:
    „Als Tom die Tür öffnete, stockte ihm der Atem. Der Safe stand offen – leer. In der Ferne heulten Polizeisirenen.“

Atmosphäre und Stimmung

  • Schafft eine emotionale Umgebung für die Geschichte
  • Nutzt Beschreibungen von Umgebung, Wetter oder Sinneseindrücken
  • Beispiel:
    „Graue Wolken hingen tief über den verlassenen Straßen. Der Wind heulte durch die leeren Gassen und ließ Zeitungsfetzen wie Geister tanzen.“

Diese Techniken verstärken die Wirkung der narrativen Elemente. Sie ermöglichen es, Leser tiefer in die Geschichte einzubinden, Emotionen zu wecken und die Handlung lebendiger zu gestalten. Ihr gezielter Einsatz unterscheidet oft gute von herausragenden narrativen Texten.

Anwendungsbereiche

Der narrative Schreibstil findet in verschiedenen Bereichen Anwendung und zeigt seine Vielseitigkeit in unterschiedlichen Kontexten. In der Literatur bildet er das Fundament für Romane und Kurzgeschichten. Autoren nutzen narrative Techniken, um fiktive Welten zu erschaffen, komplexe Charaktere zu entwickeln und Leser emotional einzubinden. Klassische Werke wie „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald oder moderne Bestseller wie „Harry Potter“ von J.K. Rowling verdanken ihre Wirkung zu großen Teilen dem effektiven Einsatz narrativer Elemente.

Im Journalismus erweitert der narrative Stil die Möglichkeiten der Berichterstattung. Feature-Artikel und Reportagen gewinnen durch narrative Elemente an Tiefe und Anschaulichkeit. Journalisten wie Gay Talese oder Joan Didion haben gezeigt, wie faktenbasierte Geschichten durch narratives Schreiben lebendig und einprägsam werden können. Die „New Journalism“ Bewegung der 1960er und 70er Jahre machte sich diese Technik zunutze, um die Grenzen zwischen Literatur und Journalismus zu verwischen.

Auch im Marketing gewinnt das narrative Schreiben zunehmend an Bedeutung. Unternehmen setzen auf „Brand Storytelling“, um ihre Markenidentität zu vermitteln und emotionale Verbindungen zu Kunden aufzubauen. Erfolgreiche Werbekampagnen wie die von Nike oder Apple nutzen oft narrative Elemente, um Produkte in einen größeren, emotionalen Kontext zu setzen.

In Biografien und Memoiren ermöglicht der narrative Stil, Lebensgeschichten fesselnd und authentisch zu erzählen. Autoren wie Walter Isaacson in seiner Biografie über Steve Jobs oder Michelle Obama in ihren Memoiren „Becoming“ verwenden narrative Techniken, um historische Fakten und persönliche Erlebnisse zu einer kohärenten, packenden Geschichte zu verweben.

Die Vielseitigkeit des narrativen Schreibstils macht ihn zu einem wertvollen Werkzeug in zahlreichen Bereichen der Kommunikation. Seine Fähigkeit, Informationen emotional aufzuladen und Leser zu fesseln, erklärt seine anhaltende Relevanz und Beliebtheit in einer Zeit, in der um Aufmerksamkeit stark konkurriert wird.

Wie Einsteiger den narrativen Schreibstil erlernen

Das Erlernen des narrativen Schreibstils erfordert Übung, Geduld und ein Verständnis für die grundlegenden Techniken. Einsteiger können sich dem narrativen Schreiben durch verschiedene Methoden nähern.

Intensives Lesen bildet die Grundlage für das Erlernen des narrativen Stils. Durch die Analyse verschiedener Texte in Bezug auf Erzählperspektive, Charakterentwicklung und Handlungsaufbau entwickeln angehende Autoren ein Gespür für effektives Storytelling. Besonders hilfreich ist es, Texte aus unterschiedlichen Genres zu studieren und deren narrative Techniken zu identifizieren.

Regelmäßiges Schreiben ist unerlässlich für die Entwicklung narrativer Fähigkeiten. Tägliche Schreibübungen, wie das Verfassen kurzer Szenen oder die Beschreibung von Charakteren, schulen die Fähigkeit, Geschichten zu strukturieren und lebendig zu gestalten. Schreibprompts und -challenges bieten oft nützliche Ausgangspunkte für diese Übungen.

Das Experimentieren mit verschiedenen Erzählperspektiven hilft, die Vielseitigkeit des narrativen Schreibens zu erkunden. Einsteiger sollten dieselbe Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählen, um die Auswirkungen der Perspektive auf die Erzählung zu verstehen.

Feedback und Kritik spielen eine wichtige Rolle im Lernprozess. Schreibgruppen oder Online-Foren bieten Möglichkeiten, Texte mit anderen zu teilen und konstruktive Rückmeldungen zu erhalten. Diese Interaktion fördert die Reflexion über die eigene Arbeit und eröffnet neue Perspektiven.

Die Teilnahme an Schreibworkshops oder -kursen kann den Lernprozess strukturieren und beschleunigen. Professionelle Anleitung hilft, spezifische Aspekte des narrativen Schreibens gezielt zu verbessern und häufige Fehler zu vermeiden.

Das Überarbeiten eigener Texte ist ein wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses. Durch mehrmaliges Überarbeiten und Verfeinern einer Geschichte entwickeln Einsteiger ein Verständnis für die Feinheiten des narrativen Stils und die Bedeutung jedes Elements für das Gesamtwerk.

Geduld und Ausdauer sind entscheidend beim Erlernen des narrativen Schreibstils. Die Entwicklung einer eigenen Stimme und eines persönlichen Stils erfordert Zeit und kontinuierliche Praxis. Mit jedem geschriebenen Text wachsen die Fähigkeiten und das Verständnis für die Kunst des Geschichtenerzählens.

Fazit

Der narrative Schreibstil stellt ein mächtiges Werkzeug in der Welt des kreativen Schreibens dar. Er umfasst zentrale Elemente wie Erzählperspektive, Charakterentwicklung, Handlungsaufbau, beschreibende Sprache, Dialoge und zeitliche Struktur. Diese Komponenten, gepaart mit Techniken wie „Show, don’t tell“, Spannungsaufbau sowie Atmosphäre und Stimmung, ermöglichen es Autoren, fesselnde und lebendige Geschichten zu erschaffen.

Die Vielseitigkeit des narrativen Stils zeigt sich in seinen vielfältigen Anwendungsbereichen. Von der Literatur über den Journalismus bis hin zu Marketing und Biografien findet er breite Verwendung. Seine Fähigkeit, Informationen emotional aufzuladen und Leser zu fesseln, macht ihn zu einem unverzichtbaren Element effektiver Kommunikation.

Das Erlernen und Beherrschen des narrativen Schreibstils ist ein fortlaufender Prozess, der Zeit und Hingabe erfordert. Die Entwicklung eines ausgereiften narrativen Stils kann Jahre dauern und variiert je nach individuellen Faktoren wie Talent, Übungsintensität und bereits vorhandenen Schreiberfahrungen. Einsteiger können mit regelmäßiger Praxis und gezieltem Lernen innerhalb von sechs bis zwölf Monaten grundlegende Fähigkeiten entwickeln. Die Verfeinerung und Perfektionierung des eigenen Stils ist jedoch ein lebenslanger Prozess.

Letztlich hängt die Entwicklung des narrativen Schreibstils von der Bereitschaft ab, kontinuierlich zu üben, zu experimentieren und aus Rückmeldungen zu lernen. Mit Ausdauer und Leidenschaft können angehende Autoren ihren eigenen, unverwechselbaren narrativen Stil entwickeln und die Kunst des Geschichtenerzählens meistern.

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Kommentare

2 Antworten zu „Der narrative Schreibstil: Eine Einführung in die Kunst des Geschichtenerzählens“

  1. […] Narrative Einheit + Story Beats: dein Dream-Team für Erzählungen […]

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