In unserer schnelllebigen, digitalen Welt ist klarer und verständlicher Text wichtiger denn je. Ob Blogbeiträge, Online-Artikel oder Social-Media-Posts – die Kunst, komplexe Inhalte einfach und verständlich zu präsentieren, ist eine Fähigkeit, die der professionelle Schreiber beherrschen sollte. Das Hamburger Verständlichkeitskonzept bietet dabei wertvolle Orientierung.
Das Hamburger Verständlichkeitskonzept ist nicht neu
Entwickelt wurde das Konzept in den 1970er-Jahren von den Psychologen Langer, Schulz von Thun und Tausch. Friedemann Schulz von Thun kennen wir von seinen Büchern mit dem Titel „Miteinander reden“, die als Standardwerk der Kommunikation angesehen werden können. Das Hamburger Verständlichkeitskonzept ergänzt diese Bücher für Texte aller Art. Es basiert auf vier Grundprinzipien: Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz und zusätzliche Stimulanz.
Vermutlich wird dir auffallen, dass diese vier Prinzipien zum festen Repertoire unserer Seite hier gehören. Also, los…
Die vier Säulen der Verständlichkeit
1. Einfachheit
Einfachheit im Schreiben bedeutet, komplexe Sachverhalte in leicht verständliche Sprache zu übersetzen. Statt „Der Proband zeigte eine Tendenz zur Vermeidung von konfliktbehafteten Konversationen“ schreiben Sie lieber „Die Person mied oft Streitgespräche“. Einfache Sprache hilft, die Botschaft klar und direkt zu vermitteln.
Übrigens geht es hierbei nicht um dumm-einfache Sprache. „Einfachheit“ sollte immer an der Zielgruppe gemessen werden. Aber komplexe Sätze, unnötige Fremdwörter, Substantivierungen und all der andere Kram macht Texte nun mal schwerer verständlich.
2. Gliederung/Ordnung
Ein gut strukturierter Text führt den Leser logisch durch die Inhalte. Verwende Überschriften, Absätze und Listen, um deine Punkte klar zu gliedern. Zum Beispiel könnte ein Blogpost über gesunde Ernährung in Abschnitte wie „Grundlagen“, „Ernährungspläne“ und „Häufige Mythen“ unterteilt werden.
Dabei hilft am meisten, wenn du vor dem Schreiben die Textstruktur erstellst. Also erst einmal alle Zwischenüberschriften ins Dokument schreiben und dann die Zwischenräume füllen. Aufzählungen, Fettungen und ein guter Abschluss tragen dann zum Verständnis bei.
3. Kürze/Prägnanz
Dieses Prinzip betont, dass Texte so kurz wie möglich, aber so lang wie nötig sein sollten. Ein Satz wie „Es ist wichtig zu betonen, dass regelmäßige körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung wesentliche Faktoren für die Aufrechterhaltung einer guten Gesundheit sind“ kann verkürzt werden zu „Regelmäßiger Sport und ausgewogene Ernährung sind wichtig für die Gesundheit“.
Dabei geht es nicht nur darum, möglichst kurze Sätze und Wörter zu schreiben. Auch die Gedanken sind, wenn sie gut sortiert sind, kürzer und deshalb verständlicher. Ach ja, merke: 1 Gedanke, 1 Satz und 1 Gedankengang, 1 Absatz.
4. Zusätzliche Stimulanz
Stimulanz in Texten kann durch interessante Informationen, anschauliche Beispiele oder rhetorische Fragen erreicht werden. Ein Artikel über Klimawandel könnte beispielsweise mit einer provokanten Frage beginnen: „Wussten Sie, dass Ihr Morgenkaffee durch den Klimawandel bedroht ist?“
Allerdings kannst du auch mit treffenden Metaphern oder vielleicht mit guten Wortneuschöpfungen (Komposita) die Aufmerksamkeit der Leser:innen wecken. Aber übertreibe es nicht. Denn nur gute Wortschöpfungen helfen bei der Verständlichkeit – ein alberner Sprachstil ist bloß peinlich. Eine gute Faustregel könnte sein, dass maximal in jedem zweiten Absatz eine originelle Formulierung steht.
Vier Säulen und fertig? Das ist das ganze Verständlichkeits-Konzept? Ja, schon. Aber so einfach ist das gar nicht. Denn um Texte verständlich zu gestalten, sind bestimmte Haltungen seitens der Schreibenden förderlich. Dazu gehört die Empathie für die Leserschaft: sich in die Lage der Leser versetzen und überlegen, was für sie relevant und verständlich ist. Weiterhin ist eine klare Absicht wichtig: Was möchte ich mit meinem Text erreichen? Zudem hilft eine offene Haltung zur Sprache, um kreativ und flexibel mit Worten umzugehen.
Förderliche Haltungen für Verständlichkeit
- Empathie für die Zielgruppe: Ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse und das Vorwissen der Leserschaft ist entscheidend. Ein empathischer Schreibstil berücksichtigt, was die Leser wissen und was sie interessiert. Wenn du zum Beispiel über ein technisches Thema für ein Laienpublikum willst, vermeide Fachjargon. Wenn du für Nerds schreibst, ist dieser jedoch hilfreich.
- Klarheit über die eigene Absicht: Klarheit über das Ziel des Textes hilft, relevante Informationen zu priorisieren und irrelevante Details wegzulassen. Beispielsweise, wenn das Ziel eines Artikels ist, die Wichtigkeit von Impfungen zu erklären, ergibt es wenig Sinn über Querdenker zu philosophieren oder sonst wie abzuschweifen.
- Offenheit für Feedback und Anpassung: Eine offene Haltung gegenüber Feedback ermöglicht es, Texte ständig zu verbessern. Nimm jedes konstruktives Feedback von Leser:innen oder Kolleg:innen an und nutze es, um die Verständlichkeit deiner Texte zu erhöhen. Achte auf jede Bemerkung und versuche, das Beste daraus zu machen.
- Bereitschaft zur Vereinfachung: Die Bereitschaft, komplexe Ideen zu vereinfachen, ohne ihre Bedeutung zu verlieren, ist zentral. Dies beinhaltet, komplexe Sachverhalte in einfache Worte zu fassen und Beispiele oder Analogien zu verwenden, um schwierige Konzepte zu veranschaulichen. Aber verleugne auch nicht die Komplexität. Damit würdest du den ersten Punkt dieser Aufzählung nicht ernst nehmen.
- Anpassungsfähigkeit an verschiedene Medien und Formate: Verschiedene Medien und Formate erfordern unterschiedliche Herangehensweisen. Ein Blogpost erfordert eine andere Struktur und Sprache als ein wissenschaftlicher Artikel oder ein Social-Media-Post. „Na klar“, denkst du jetzt. Aber arbeitest du auch wirklich so?
Passt das Konzept auch für Online?
Natürlich. Vielleicht sogar noch viel besser als für Print. Denn die digitale Welt lenkt die Leser:innen noch viel stärker ab als ein gedrucktes Magazin. Daher ist die Anwendung des Hamburger Verständlichkeitskonzepts für alle Online-Artikel besonders wertvoll. Und du kannst auf einer Webseite hervorragend mit Hervorhebungen, Zwischenüberschriften und interaktive Elemente arbeiten, um den Leser zu fesseln.
Und so geht das
Hier einige Quelle auf dem Contentman, mit dem du diese Prinzipien erreichen kannst:
Kritik am Hamburger Verständlichkeitskonzept
Trotz seiner Nützlichkeit und Popularität ist das Hamburger Verständlichkeitskonzept übrigens nicht ohne Kritik geblieben. Falls dir die Punkte oben einleuchten, kannst du gerne weiter skippen. Aber vielleicht findest du dich in den Hauptkritikpunkten wieder:
- Übermäßige Vereinfachung: Kritiker argumentieren, dass eine zu starke Fokussierung auf Einfachheit die Tiefe und Nuancen komplexer Themen untergraben kann. Insbesondere in akademischen oder technischen Kontexten könnte eine übermäßige Vereinfachung dazu führen, dass wichtige Details und spezifische Fachterminologien verloren gehen.
- Kulturelle und sprachliche Grenzen: Das Konzept, ursprünglich für den deutschsprachigen Raum entwickelt, stößt an seine Grenzen, wenn es um Texte in anderen Sprachen oder für kulturell diverse Zielgruppen geht. Nicht alle Prinzipien lassen sich nahtlos auf andere sprachliche oder kulturelle Kontexte übertragen.
- Subjektivität bei der Umsetzung: Die Anwendung der Prinzipien Einfachheit, Gliederung, Kürze und Stimulanz hängt stark von der individuellen Interpretation des Schreibenden ab. Was für den einen einfach und klar ist, kann für einen anderen immer noch zu komplex oder unklar sein.
- Mangelnde Flexibilität bei verschiedenen Genres: Das Konzept ist weniger anwendbar auf literarische oder poetische Texte, bei denen Stil und Ausdruck eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die reine Informationsvermittlung.
- Überbewertung formaler Aspekte: Einige Kritiker meinen, dass das Konzept zu sehr auf formale Aspekte der Sprache fokussiert und inhaltliche Aspekte, wie die Relevanz und Richtigkeit der Informationen, vernachlässigt werden könnten.
Vergleich zu konkurrierenden Konzepten
Selbstverständlich ist das Hamburger Verständlichkeitskonzept nicht einzigartig. Es gibt mehrere, teils viel bekanntere Methoden, Verständlichkeit zu messen. Etwa die Wiener Sachtextformel ist berühmt geworden. Ich persönlich halte von diesen Konzepten allerdings nicht so arg viel. Denn diese simplizfizieren die Verständlichkeit auf eine Zählbarkeit von Buchstaben und Worten. Das ist in meinen Augen – Achtung, eine zusätzliche Stimulanz – unterkomplex 🙂
Hier ein Vergleich der bekanntesten Konzepte:
Konzept | Entwicklung | Hauptfaktoren | Fokus | Anwendung |
---|---|---|---|---|
Hamburger Verständlichkeitskonzept | 1970er, Langer, Schulz von Thun, Tausch | Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz, zusätzliche Stimulanz | Bildungs- und Beratungskontext | Breite Anwendbarkeit |
Flesch-Kincaid-Lesbarkeitsindex | 1940er und 1970er, Flesch und Kincaid | Satzlänge, Silbenanzahl pro Wort | Militärdokumente (USA) | Englischsprachige Texte |
Wiener Sachtextformel | 1980er, Bamberger und Vanecek | Satzlänge, einsilbige Wörter, Wörter mit drei oder mehr Silben, Wörter mit sechs oder mehr Buchstaben | Deutschsprachige Sachtexte | Schul- und Sachbücher |
Gunning-Fog-Index | 1950er, Robert Gunning | Durchschnittliche Satzlänge, Anteil komplexer Wörter | Zeitungsartikel (USA) | Journalismus, Wirtschaft |
Tools und Ressourcen
Der Vorteil der anderen Konzepte ist eben diese Vereinfachung auf Zählbarkeit. Es gibt eine Vielzahl von Tools und Ressourcen, die bei der Verbesserung der Textverständlichkeit helfen möchten. Allerdings messen die allesamt lediglich die Länge von Wörtern und Sätzen und errechnen daraus dann einen Index. Ein Tool für das Hamburger Verständlichkeitskonzept gibt es nicht.
Du könntest mit einer Skala wie dieser arbeiten:
Einfachheit | ++ | + | 0 | – | — | Kompliziertheit |
Gliederung, Ordnung | ++ | + | 0 | – | — | Unübersichtlichkeit, Zusammenhanglosigkeit |
Kürze, Prägnanz | ++ | + | 0 | – | — | Weitschweifigkeit |
Zusätzliche Stimulanz | ++ | + | 0 | – | — | keine zusätzliche Stimulanz |
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich hilfreich ist…
Praktische Übungen und Tipps zur Umsetzung
Um das Hamburger Verständlichkeitskonzept in der Praxis anzuwenden, sind eher Übungen wie das Umschreiben von Fachtexten in allgemein verständliche Sprache oder das gezielte Kürzen von langen Absätzen hilfreich. Workshops oder Peer-Review-Sessions können ebenfalls nützlich sein, um ein Gefühl für die unterschiedlichen Aspekte der Textverständlichkeit zu entwickeln.
Vielleicht reicht es auch, wenn du dir ein Post-it mit den vier Säulen an den Bildschirm heftest und bei jedem Text darauf achtest, dass du diese im Blick hast.
Und nun?
Das Hamburger Verständlichkeitskonzept ist zwar recht allgemein – aber trotzdem ein wertvolles Instrument für jeden, der klar und effektiv kommunizieren möchte. Durch die Anwendung seiner Prinzipien und eine Reflexion über dessen Grenzen können wir Inhalte schaffen, die sowohl informativ als auch zugänglich sind. In einer Welt, in der die Menge an Informationen stetig wächst, ist die Fähigkeit, verständlich zu schreiben, wichtiger denn je.
Der „Contentman“ hier und mein Newsletter dort sind meine Spielwiesen und digitale Chancen, meine Gedanken auszudrücken. Lange Jahre war ich Journalist – habe also vielleicht ein bisschen Tinte in meinem Blut. Mein Geld verdiene ich als Produktentwickler im Wort & Bild Verlag. .
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