In deinem Tagebuch erzählst du dir selbst die Geschichte deines Lebens. Du sammelst deine Gedanken und bringst sie in deine Form. Und du erkennst in deinem eigenen Text, wenn es dir mal nicht so gut geht. Vielleicht ermöglicht dir dein Tagebuch auch, in deiner Vergangenheit zu suchen, wie es wirklich war. Wie wäre es, wenn dir dabei jemand hilft? Genau das kann (oder könnte) Künstliche Intelligenz.
Ich bin kein KI-Optimist und zurückhaltend, wenn es darum geht, ChatGPT & Co in mein privates Leben zu lassen. Und doch: Die Chancen, die eine Künstliche Intelligenz für das Schreiben und den Nutzen von Tagebüchern bieten könnte, sind groß.
Wieso Michael Bommer seine Gedanken und seine Geschichte einer KI erzählt
Der Unternehmer Michael Bommer ist der erste Kunde von Eternos.life, einem Unternehmen, das persönliche KI-Avatare entwickelt. Mit Darmkrebs im Endstadium hat Bommer begonnen, seine Stimme, seine Geschichte und seine Gedanken in ein KI-Model zu sprechen. Damit möchte er seiner Familie ermöglichen, auch nach seinem Tod mit ihm zu kommunizieren.
Er erzählt den Vorgang und seine Motivation dazu in dem Podcast „Moreno +1„, den ich sehr empfehlen kann.
Diese Geschichte hat mich bewegt. Bommer hat zwar mit seinem KI-Modell begonnen, weil er wusste, dass er bald sterben wird. Und ich glaube nicht, dass dies eine Motivation ist, die alle nachvollziehen können. Doch ich kann nachvollziehen, welche essenziellen Entwicklungen er damit angestoßen hat. Durch seine gesprochenen Texte rekapituliert er nicht nur sein Leben und seine Gedankenwelt. Er sagt selbst, dass für ihn die Tatsache wichtig ist, den geliebten Menschen auch seine Haltung zu den wichtigen Dingen mitzugeben.
Bommer glaubt, dass alle Menschen einmal einen KI-Avatar haben werden. Dank KI-Technik können wir all das, was uns beschäftigt, in ein Sprachmodell füttern, das dann uns und anderen Rede und Antwort stehen kann.
Das „Produkt“ von Eternos.life beinhaltet zusätzlich noch einen Video-Avatar und verschiedene Dienstleistungen. Dementsprechend teuer ist es auch. Etwas operativer und günstiger (wenn auch mit 40 Dollar/Monat nicht sonderlich billig) lässt sich das bei Personal AI beobachten. Dies ist – vorerst – ein einfaches Sprachmodell für persönliche Textinhalte.
Diese umfassenden, kommerziellen Produkte sehe ich derzeit eher skeptisch. Hier geht es ja um unsere ehrlichsten Gedanken und damit auch die Frage, wer diese alles lesen können wird. Und ich glaube nicht, dass ich am Anfang einer solchen Entwicklung auf die allerersten Produkte setzen will. Schon allein, weil ich mir nicht sicher sein kann, ob es diese Unternehmen in drei Jahren noch in dieser Form gibt.
Deshalb gehe ich selbst etwas hemdsärmeliger damit um. Ich beginnen aber trotzdem damit, die Speach-to-Text-Funktion zu nutzen, um die Gedanken zu vertexten – damit sie mir später zur Verfügung stehen.
Wie die KI dein Tagebuch boostern kann
Warum schreibst du Tagebuch? Oder besser: Warum wäre es hilfreich für dich, Tagebuch zu schreiben? Da gibt es eine ganze Menge von Punkten, die ich hier aufgeschrieben habe. Der wichtigste Punkt ist vielleicht: Mit einem Tagebuch hast du immer eine Freundin, einen Freund an deiner Seite.
Kleiner Einschub? Du bist dir nicht sicher, was der Unterschied zwischen Tagebuchschreiben und Journaling ist? Zunächst einmal ist das die Sprache. Allerdings würde ich auch sagen, dass Journaling strukturierter ist als Tagebuch schreiben. Ich habe das hier erklärt.
Das Tagebuch hat immer Zeit und einige weiße Blätter, die beschrieben werden können. Das Tagebuch kommentiert nicht, was du schreibst. Doch manchmal zeigt es dir, was gerade schiefläuft – völlig ohne Vorwurf. Es zeigt dir deine Schwankungen in der Stimmung und erzählt dir auch von vergangenen Erlebnissen – und zwar so, wie du sie damals wahrgenommen und nicht, wie du sie in deiner Erinnerung verzerrt hast.
Diese Freundin, dieser Freund kann Unterstützung von einer Künstlichen Intelligenz gebrauchen.
- Sie kann die richtigen Fragen stellen: Manchmal wissen wir nicht, wie wir starten sollen oder was als Nächstes dran ist. Eine KI könnte, wenn sie das möglichst feinfühlig tut, solche Fragen stellen. Damit der Schreibfluss in Gang kommt oder nicht abreißt.
- Motivieren und Erinnern: Ganz offensichtlich ist, dass eine KI-gestützte App dich recht gut dazu motivieren kann, weiterzumachen. Und vielleicht nicht durch eine Erinnerung mehr, die das Smartphone in der Mitteilungszentrale verkündet, sondern durch gute Impulse.
- Stimmungen und Emotionen einfangen und sichtbar machen: Es gibt schon Apps, die hinter den Wörtern und Sätzen Stimmungen oder gar von beginnenden Depressionen oder anderen psychischen Störungen einfangen können. Das gelingt häufig nicht einmal guten Therapeuten. Das kann dir helfen, deine Situation gut einzuordnen.
- Gute Zusammenfassungen: Die Stärke der aktuellen KI-Sprachmodelle ist es, Texte und deren Inhalt zusammenzufassen. Das ist gerade bei einem Tagebuch natürlich wirklich hilfreich.
- Wiederauffindbarkeit der Inhalte: Ich habe schon so häufig in meinen Papier-Tagebüchern nach Ereignissen gesucht, dass ich schließlich damit aufgehört habe. Es kann aber für das Denken wichtig sein, ein Ereignis noch einem aus der damaligen Sicht lesen zu können. Denn unsere Erinnerung ist trügerisch.
Nach der Beschäftigung mit den Tagebuch-Apps habe ich das Gefühl, dass uns diese motivieren können. Und selbst, wenn ich immer wieder die Stirn über die Nachfragen oder Zusammenfassungen runzeln musste: Auch das ist Nachdenken und reflektieren. Vielleicht ist dieser Abstand sogar hilfreich, den die Technik mit teils blöden Fragen aufbaut.
Die Gefahren der Tagebücher mit KI-Booster
Sich die Technik in das privateste Innere einzuladen, birgt natürlich auch Gefahren. Und zwar nicht nur, weil es Technik ist. Auch, weil die Programmierer dahinter ein wenig oder viel zu engagiert sein könnten. Der Nutzen eine Tagebuchs ist manchmal gerade seine offene Stille – da hat dann KI-Geplapper nichts zu suchen.
Hier die dunkle Seite von Künstlicher Intelligenz in deinem Tagebuch:
- Natürlich der Datenschutz: Wenn eine KI all das für uns erledigen soll, müssen wir ihr Zugriff auf unseren privatesten Schatz geben. Und dieser Schatz wird vermutlich in den USA oder einem anderen Staat mit laxen Vorschriften gespeichert und analysiert. Wir sollten uns stets darüber im Klaren sein. Deshalb hoffe ich auch auf eine App aus Deutschland oder Europa, die den Datenschutz über die Funktionen stellt.
- Übergriffigkeit ist kontraproduktiv: Manche unserer guten Freund:innen meinen es zu gut mit uns. Du beginnst, von dir, von deiner Trauer oder deinem Ärger zu erzählen und schon haben sie einen guten Ratschlag auf den Lippen. Selbst Fragen nach dem Befinden können manchmal störend und übergriffig sein. Wenn du das Gefühl hast, von einer App gedrängelt zu werden, schalte sie sofort ab. Das wird dann nichts mehr.
- Gefärbte Erinnerungen: Selbst eine perfekte KI wird ein Ereignis, einen Tag, eine Woche oder einen Monat so zusammenfassen können, wie du sie erlebt hast. Sei also vorsichtig, was du der KI glaubst.
- Techno-optimistischer Umgang mit Emotionen: Es ist ja nicht immer alles gut, was Technik kann. Ich denke, darüber sind wir uns heute einig. Wenn also junge Entwickler in Moutain View ein Brainstorming darüber machen, was mit Tagebuch-Einträgen alles so gemacht werden kann, müssen das nicht alles gute Ideen sein. Allerdings ist es meist so, dass alles umgesetzt wird, was umgesetzt werden kann. Was wir davon nutzen, müssen wir selbst entscheiden.
Deshalb werfe ich ohnehin einen sehr kritischen Blick auf die KI-Unterstützung.
Tools: vorhandene KI-Tagebücher und -Journale
Mein Englisch ist zu schlecht, um meine Tagebucheinträge in dieser Sprache zu schreiben. Deshalb war ich positiv überrascht, dass alle Tagebuch-Apps, die ich mir angeschaut habe, klaglos auch deutsche Eingaben akzeptieren und sogar auf Deutsch antworten. Mir scheint fast, dass die KI schon eines bewirkt hat: Dass wir sprachlich ein bisschen zusammen rücken. Jedenfalls in den Sprachen, die in den Sprachmodellen aufgesogen werden.
Meine Beute an KI-Apps fürs Tagebuchschreiben ist noch gering. Auffallend ist, dass bis auf Reflection, keine der bekannten App-Anbieter KI-Unterstützung anbieten. Und auch bei Reflection ist das ein Test außerhalb der eigentlichen Funktionen. Ich nehme an, dass hier ein Thema der Datenschutz ist.
Es ist aber nicht zu übersehen, dass da gerade an vielen Stellen gearbeitet wird. Deshalb habe ich mir eine Erinnerung in den Kalender gemacht. Und ich habe eine Bitte: Sobald du eine solche App findest, schick mir den Link. Ich werde alle Apps hier sammeln.
Tagebuch-Apps, die ein Feedback geben
Voicenotes
Das kommt meinen Bedürfnissen schon sehr nahe: Stimme aufnehmen, transkribieren und per KI verwalten. Allerdings würde ich meine Gedanken nicht einer kleinen Entwickler-Bude irgendwo auf der Welt erzählen.
Rosebud
Diese Empfehlung einer Leserin habe ich bisher nicht getestet. Sie kommt jedenfalls ohne IOs oder Android-App daher – was weder ein Vor- noch ein Nachteil ist. Sie sieht nach einer sehr umfassenden Tagebuch-Journaling-Anwendung mit persönlichen Fragen von einer KI aus.
AI Diary
Dieses Tool, auch noch jung, simuliert ein Tagebuch als Chat. Eine charmante Idee, da ja ohnehin gerade alle mit ChatGPT plaudern. Allerdings trifft das noch nicht ganz meine Erwartungen. Einen weiteren Besuch ist es allerdings wert.
Mindsera
Das ist im Betastadion und wirkt auf den ersten Blick recht elegant. Die Idee ist, dass du täglich in das Journal schreibst und dir Fragen – die erstaunlich gut zu dem geschriebenen Inhalt passen – eine mitfühlende Begleitung geben. Es gibt auch Emotions-Analysen anhand des Inhalts und Vorlagen für Journale. Es gibt wohl auch Sessions mit Coaches und persönliche Assessments, das konnte ich nicht testen, da ich mir kein Bezahlaccount leisten wollte (knapp 15 $/Monat). Midsera machte für mich einen ordentlichen, ersten Eindruck. Ich werde dort noch einmal reinschauen.
Mynd
Diese Web-App, im Alpha-Zustand, analysiert auch deinen Text. Allerdings stellt sie nicht nur Fragen (die beim gleichen Text übrigens ziemlich ähnlichen denen von Mindsera waren), sondern liefert eine Zusammenfassung und vergibt Schlagwörter wie Verwirrung, Getrenntheit, Depression, Schalheit. (Ja, das liegt an dem Text, den ich mir ausgedacht habe). Damit lässt sich vermutlich arbeiten – auch hierhin werde ich zurückkommen.
Depth von Reflection
Die Tagebuch-App Reflection werkelt auch an einem solchen Feedback auf Einträge im Journal. Hier reduziert sich das auf Fragen, die uns motivieren sollen, tiefer in die Gefühle zu gehen oder sich davon zu befreien. Das erscheint mir etwas zu einfach. Doch, nun. Es ist ein Anfang.
Tagebuch-Apps mit Sonderfunktionen
Nightcap Guru
Ich habe es nicht ausprobiert – weil ich mich an meine Träume nicht erinnern kann. Doch die Idee ist ziemlich gut: Nightcap Guru versucht, in deinen Träumen Sinn zu finden. Das kann zwar nicht wirklich funktionieren (weil Träume oft auch einfach schlicht sinnlos sind), aber das will ich mir bei Gelegenheit unbedingt anschauen. Oder, falls du träumst: Probierst du es mal aus und erzählst mir, wie es war?
Memairy
Ein Tagebuch mit vielen Funktionen – also auch Bildern und Videos. Der AI-Trick dabei soll sein, dass die KI bei der Eingabe unterstützt (wie bei nahezu allen anderen Apps hier), aber auch beim Suchen alter Erinnerungen hilft und diese schick darstellt. Das konnte ich nicht ausprobieren, weil ich dazu zuviel hätte journalen müssen …
Whisper Memos
Eigentlich kein Tagebuch – aber Whisper Memos löst ein Problem: Die Spracherkennung der Handys ist nicht so dolle. Also nutzt diese App KI zum Erkennen von gesprochenem Text und schickt diesen dann per E-Mail an dein Postfach. Von dort kannst du das per Copy & Paste in deine Tagebuch-App schubsen. Funktioniert gut.
Personal AI
Ein interessanter Ansatz – der nur teils hier rein passt. Von Personal AI bekommst du einen oder mehrere Chatbots, die du im Gespräch mit dem Bot trainierst. Soweit der „Tagebuch“-Aspekt. Allerdings ermöglicht die App auch das Einladen von Freund:innen, die dann mit dem Bot chatten können. Deine tiefen Geheimnisse wirst du ihm also nicht anvertrauen können. Ich habe aber das Gefühl, dass solchen persönlichen Abziehbildern ein Teil der Zukunft gehört.
Tagebuch-Apps, die ich nicht besucht habe
Pagefelt – weil die Startseite schon schrecklich aussieht
6000thoughts – weil ich schon so viele andere gesehen hatte
SAAM – weil ich keinen Zugang bekommen habe. Interessant: Hier sollen auch Freund:innen kontaktiert werden können. Aber will ich das?
Granny App: Zwei Studenten aus Honkong bauen eine Journaling-App, die “Granny” heißt. So könnte ein lustiger Film beginnen. Ich werde schauen, wenn es etwas zu testen gibt.
Reflection AI: Nicht unbedingt eine Tagebuch-App, sondern die Möglichkeit, durch persönliche Eingaben einen Chatbot zu erstellen, der so ist wie du. Ich schätze, davon wird es bald viele geben. Und irgendwie passen die hier schon rein. Einen Zugang habe ich noch nicht bekommen.
Der „Contentman“ hier und mein Newsletter dort sind meine Spielwiesen und digitale Chancen, meine Gedanken auszudrücken. Lange Jahre war ich Journalist – habe also vielleicht ein bisschen Tinte in meinem Blut. Mein Geld verdiene ich als Produktentwickler im Wort & Bild Verlag. .
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