Digitale Text-Formate sind nicht egal! Ein Ratgeber

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Das hier ist ein Ratgeber. Es hätte auch eine FAQ sein können, in der ich Fragen zu Text-Formaten kläre. Auf jeden Fall liegt mir die längere, beratende Textform besser als textliche Schnellschüsse. Ich mag auch Interviews, Kommentare und Reportagen. Allerdings kann ich auf dem Contentman damit nur wenig anfangen. Deshalb eine ratgebende Übersicht.

Sie ist nicht immer gut zu erkennen. Doch die Form ist wichtig. (Foto: Eric)

Warum das richtige Text-Format so wichtig ist

Um ein Missverständnis direkt aufzuklären – auf das mich meine KI gerade aufmerksam gemacht hat: Es geht hier nicht um das Formatieren von Texten. Ich werde euch also nicht erklären, ob und wie ihr mit Fettungen arbeitet, wann eine H1-Überschrift verwendet wird und wie lang ein Absatz sein darf. Das überlasse ich anderen.

Hier geht es um das innere Format von Texten. Welche Art von Artikel passt an welcher Stelle? Und was sollte dieser dann können? Das klingt nach etwas so Feinsinnigem, dass wir es eigentlich ignorieren könnten. Und doch: Nur wenn du vom Start weg in das richtige Format schreibst, wird das Ergebnis stimmig.

Die Leser:innen werden nicht unbedingt wissen, ob sie gerade einen Meinungs-Beitrag lesen oder unabhängig beraten werden. Doch sie werden merken, wenn eine Form nicht zum Inhalt passt. Und dann verlierst du das Vertrauen bei ihnen.

Davon abgesehen, wirst du hier einige Anregungen lesen, die dich an die bunte Vielfalt der Textproduktion erinnern. Das kann eine gute Basis für mehr Kreativität sein.

Die alte Welt: bewährte Text-Formate

Bevor wir uns die neuen, nur-digitalen Formate anschauen, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Es gibt einige journalistische Formate, die meiner Meinung nach nur noch teilweise zeitgemäß sind. Doch sie öffnen unseren Blick.

Und so kannst du die folgende Liste hier verwenden: als Inspiration. Einiges habe ich schon in die digitale Welt transferiert. Manches wird Vergangenheit bleiben.

BeitragsartBeschreibungLängeAktualität
Nachricht / Newskurze Information über eine Entwicklungkurzvorübergehend
FeatureSachbeitrag mit erzählerischen Elementenlanglänger haltbar, meist nicht aktualisierbar
Reportageerzählerischer Beitraglanglänger haltbar, nicht aktualisierbar
KommentarMeinung / Haltung einer Person zu einem kritischen Themamitteleine Meinung ist meist vorübergehend
PorträtVorstellung einer Person und ihrem Hintergrundlangkönnte ergänzt werden
InterviewAbschrift eines Gesprächeskurz oder langbei Veröffentlichung aktuell
Blog-ArtikelEigentlich dem Kommentar nahe, eher eine aktuelle Sichtweisekurz oder langeigentlich tagesaktuell
Lexikalischer Artikelmit einem Wikipedia-Eintrag vergleichbar. Nur eleganter 🙂langist aktuell und sollte aktuell gehalten werden
FAQstrukturierte Frage- und Antwort-Streckeoft langsollte jederzeit aktuell gehalten werden
Ratgeberberatender Artikel mit Handlungsempfehlungenmeist langbei Veröffentlichung aktuell, sollte ggf. aktualisiert werden
ProduktbeschreibungSeiten, die dem Verkauf eines Produktes dienenje, nach Produktändert sich mit dem Produkt
Produkt-ÜbersichtenAuswahl von Produkten einer Kategorieje nach Zahl der Produkteändert sich mit der Produktauswahl
Branded Contentbezahlte Seiten z.B. bei Publishern (mit „Anzeige“ überschrieben“)meist langje nach Produkt oder Dienstleistung
hinführende FormateTeaser, Title-Tag, Description, Social Media Metatags u.s.w.kurzje nach hinführende Seite
AnzeigenformateAdWord, Anzeigen, Social-Media-Marketing u.s.w.kurzje nach beworbener Seite

Ich habe die üblichen digitalen Formate hervorgehoben. Das soll allerdings nicht heißen, dass die anderen keine gute Idee wären. Ein Interview oder sogar eine Reportage können die Leser:innen entzücken. Es sind häufig keine Artikel, die bei Google gut ranken. Allerdings sollte das heute nicht mehr so wichtig sein – da es genug andere Kanäle gibt, auf denen dein Inhalt verbreitet werden kann.

Bitte beachte die Attribute, die Texte haben. Diese können sein:

  • Aktualität: Das liegt vor allem an den Themen. Es gibt welche, die relativ “haltbar” sind und andere, die alle paar Tage oder Stunden ein “Update” erhalten. Es gibt nur wenige Artikel, die unverändert noch in ein bis zwei Jahren aktuell erscheinen. Vergiss niemals die Archiv-Funktion des Web.
  • Länge / Umfang: Auch das ist ein relativer Wert, der am Thema hängt; oder besser an der Granulierung des Themas.
  • Objektivität: Manche Formate erlauben eine klare Haltung. Ein lexikalischer Beitrag sollte – zumindest dem Anschein nach – objektiv sein. Ein Kommentar oder ein Blog-Artikel sollte genau das nicht sein, sondern eine klare Haltung zum Ausdruck bringen.

Vielleicht eine kleine Ergänzung zu “Blog-Artikel”: Vielfach werden Blogs mit der technischen Installation einer Blog-Software gleichgesetzt. Wer also seine Seite auf WordPress erstellt, hat einen Blog? Nein, so ist das nicht. Es gibt heute sicher mehr Ratgeber- und Produktseiten, die auf WordPress laufen als Blogs. Was ist also die Unterscheidung?

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Ich schnappe mir für die Antwort darauf die ursprüngliche Definition von Blog (also etwa “digitales Tagebuch oder Journal”) und aktualisiere es auf meine Weise: Meist ist der Blog in einem Unternehmen oder bei einem Freiberufler die Ecke auf der Webseite, auf der jemand persönlich wird. Experten nehmen dort eine Haltung ein, Kolumnisten drücken hier ihre Meinung aus. Ein Blog-Artikel hat also immer einen Namen und ein Thema, zu dem die Autorin oder der Autor etwas in seinem Namen zu sagen hat.

Alles andere sind Ratgeber, lexikalische Beiträge oder einfach “Texte”, die sonst keinen anderen Platz gefunden haben.

Einverstanden?

Was die BBC im Jahr 2018 erforschte

Die BBC ist eine der wenigen großen Institutionen weltweit, die es sich leistet, neue journalistische Formate zu erforschen – und nicht einfach auszuprobieren. Dazu hatten sie im Jahr 2018 junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren befragt und mit ihnen Tests gemacht. Ihre ersten Erkenntnisse waren:

  • Sie wollen Texte scannen, aber tiefer einsteigen, wenn sie interessiert sind.
  • Sie wollen komplexe Geschichten verstehen.
  • Sie wollen eine Geschichte an einem einzigen Ort lesen.
  • Sie wollen Hilfe bei der Meinungsbildung.
  • Sie wollen eine Auswahl an Medien, die zum Kontext passen.

Das ist nicht gerade weltverändernd – aber zeigt eine gute Differenzierung der der Motivationen von Nutzer:innen. Die BBC hat weiter daran gearbeitet und dabei dann vier Formate entwickelt, die zu diesen Anforderungen passen:

Expander: Die BBC wird oft dafür kritisiert, dass sie zu viel Wissen voraussetzt, was ein Hindernis für das Verständnis sein kann. Der Expander versucht, dieses Problem mit zusätzlichen Informationen zu lösen, die in erweiterbaren Kästen versteckt sind. Er bietet dem Nutzer ein übersichtliches und präzises Leseerlebnis, ermöglicht ihm aber, für weitere Informationen „tiefer zu graben“.

Diese Informationen werden nicht verlinkt, da die BBC glaubt, das Publikum der Generation Z scheint Informationen an einem Ort zu bevorzugen – und nicht Links, die sie woanders hinführen.

Ähnliche Konzepte finden sich in wiederverwendbaren Factboxen beim Guardian und an anderen Stellen. Telescopic Text war ebenfalls eine Inspiration.

Incremental: Dieser Prototyp unterteilt eine Nachrichtenmeldung in Abschnitte und ermöglicht den Leser:innen, jeden Informationsabschnitt entweder als Video, Kurztext oder Langtext zu konsumieren oder ihn zu überspringen.

Es handelt sich um eine unkomplizierte Interaktion, die in einem unterhaltsamen Stil präsentiert wird. Bei den Testteilnehmern kam das gut an, da es ihnen half, das große Ganze zu erklären: Zwischenüberschriften und Informationsbrocken seien leichter aufzunehmen – weil auch hier alle Inhalte an einem Ort sind. Und die Leser:innen die Möglichkeit mochten, die Länge und den Medientyp je nach ihren Vorlieben oder der Situation auszuwählen.

Insgesamt hatte Incremental das beste Nutzerfeedback in dieser Runde. Die Entwickler glauben, dass es eine Art heimliche Langform sein könnte – eine Möglichkeit, Menschen anzusprechen, die von langen Artikeln oder vielen Seitenleisten und Links zu verwandten Artikeln abgeschreckt werden.

Viewpoints: Das junge Publikum, so die BBC, möchte komplexe Geschichten verstehen – das Warum, nicht nur das Was. Dafür benötigen sie eine Reihe von Standpunkten, die ihnen helfen, ein Thema zu verstehen, es zu durchdenken und sich ihre eigene Meinung zu bilden. Dieser Prototyp wurde auf diesem zentralen Bedürfnisse entwickelt und bietet polarisierte Meinungen zu einer Geschichte.

Viewpoints präsentiert sich in Form einer Reihe von Karten. Die erste Karte gibt einen kurzen Überblick über das Thema und der Nutzer swiped weiter, um Videos oder Gegenargumente zu sehen. Die letzte Wischbewegung zeigt eine Umfrage an.

Sozusagen ein Meinungs-Tinder.

Fastforward: Das ist eher eine neue Funktion für Videos mit Untertiteln oder Untertiteln. Der Untertiteltext und das Video werden synchronisiert, sodass im Video vor- und zurückgeblättert werden kann, indem man den Text scrollt. So können die Zuschauer:innen das Video ganz einfach überfliegen.

Flexible Textformen fürs Digitale

Mir gefällt es, dass die BBC nicht an überholten journalistischen Textformen hängt, sondern ganz neu entwickelt. Das Text-Scrolling via Fastforward oder das Meinungs-Tindern bei den Viewpoints sind natürlich auch technische Herausforderungen. Allerdings wird es hilfreich sein, digitale Text-Formate anhand ihrer Funktion und nicht anhand von Namen wie “Reportage” oder “Blogbeitrag” zu entwickeln.

Übernehmen wir also die guten, alten Print-Funktionen von oben und ergänzen sie um die digitalen.

  • Aktualität I: Das ist die klassische Aktualität. Etwas passiert – und wir möchten darüber berichten. Zum Beispiel auf einem Newskanal, in einem Newsletter oder auf Social Media.
  • Aktualität II: Das ist eine Form der Aktualität, die es nur im Digitalen gibt. Und selbst dort nur an manchen Orten. Ich nenne das mal “Wikipedia-Aktualität”. Dort werden bestehende Artikel ständig an aktuelle Entwicklungen angepasst. Wikipedianer versuchen ununterbrochen, all ihre langen, lexikalischen Beiträge der sich verändernden Realität anzupassen.
  • Länge / Umfang: Natürlich spielt die Länge eine Rolle. Im Digitalen aber eine andere. Während Druckerzeugnisse sehr begrenzt sind, sind Webseiten nach unten hin endlos scrollbar. Deshalb ist der Hinweis, dass im Digitalen nicht sonderlich viel gelesen wird, wichtig. Auch hier ist manchmal Kürze angebracht – etwa bei News. Und auf Social Media ohnehin. Aber ein Ratgeberbeitrag sollte eher nicht kurz sein, im Gegenteil.
  • Übersichtlichkeit: Das ist eine Funktion von Texten, die mit dem Digitalen notwendig geworden ist. Print-Journalist:innen haben immer eine Zeilenbegrenzung und einen Layout-Prozess, der ihre Arbeit in eine lesbare Form bringt. Wer ins Internet schreibt, macht das häufig genug alleine. Deshalb ist die Übersichtlichkeit (z.B. durch Zwischenüberschriften, Fettungen, Aufzählungen) eine wichtige Text-Eigenschaft geworden.
  • Scanability: Das hängt deutlich mit der Übersichtlichkeit zusammen. Menschen scannen zuerst viele Inhalte im Digitalen und lesen dann. Oder sie picken sich das raus, was sie interessiert. Also erwarten sie, dass längere Artikel in Kapiteln geschrieben und entsprechend überschrieben werden.
  • Horizontal vs. vertikal: Möglicherweise passt der Begriff nicht perfekt. Diese Funktion soll beinhalten, dass ein Beitrag (z.B. ein Ratgeber zu Beitragsformen im Digitalen) in die Tiefe geht und eine andere Seite eher in der Breite informiert (also eine Übersicht von vielen Beitragsformen, die dann von dort aus verlinkt werden). Eine Produkt-Kategorieseite ist etwa eher “breit”, weil viele Produkte dort knapp angerissen und verlinkt werden; die Produktseiten sind eher tief und gehen auf Details ein.
  • Objektivität: Uns erscheint digitaler Inhalt oft als Meinungs-Pampe. Und das ist er oft auch. Es ist aber vertrauensbildend (und welche Währung im Internet wäre härter?) Meinung als Meinung und Fakten als Fakten zu kennzeichnen. Dazu gehört etwa, Quellen anzugeben.

Wir sind uns nun einig, dass Beitragsarten im Digitalen zwar ähnlich aussehen – aber vielfältiger als in Print sein können. Wie du sie nun verwendest, ist dir überlassen. Du könntest die alten Begriffe verwenden (“News” müssen Aktualität 1, Kürze, Objektivität haben und horizontal weiterverlinken. Eine “Produktbeschreibung” muss Aktualität II, Länge, Übersichtlichkeit, Scanabiliy mitbringen und vertikal in die Tiefe gehen. Objektivität ist dort nicht angesagt).

Oder du baust dir eine Matrix mit eigenen Beitragsarten, in der du schaust, was können sollte. Hier einige Vorschläge für neue Begriffe:

  • Digitales Lexikon: ein umfassender Beitrag zu einem klar formulierten Wissens-Thema. Eine Art Wikipedia-Form – inklusive der Elemente, die auf der Wikipedia zu sehen sind.
  • Aktuelles Update: eine aktuelle Information für Menschen, die schon etwas zu einem Thema wissen – aber auf dem Laufenden bleiben wollen. Zu einer solchen Ergänzung gehört meist ein inkrementeller Artikel.
  • Themen-Übersicht: schnelle Übersicht mit Verweisen auf tiefere Informationen zu den angesprochenen Aspekten. Das könnte auch eine News-Übersicht oder eine Kategorieseite sein.
  • News: meinungsstarke oder verkaufende Seiten mit all dem, was darauf hilfreich ist.

Und, was bringt’s?

Zunächst einmal müssen wir uns – einerseits – von den bekannten Print-Beitragsformaten lösen und – andererseits – keinen Einheitsbrei produzieren. Deshalb dürfen wir kreativ mit unseren Text-Formaten umgehen. Ohne allerdings die Anforderungen zu vergessen, die die Leser:innen an uns haben.

Und wenn du die oben genannten Digital-Funktionen wie Aktualität I, Scanability und so weiter gelesen und verstanden hast, wirst du fortan ohnehin andere Beiträge schreiben. Falls du in der Qualitätskontrolle, für ein Briefing oder ein Feedback deine oder fremde Texte bewerten musst, ist die Erfüllung dieser Funktionen vermutlich ebenso wichtig wie die Bewertung von Stil, Rechtschreibung und Inhalt.

Glaubst du nicht? Doch, ist so.

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